Können die Scheidungsfolgen bereits vor der Heirat im Ehevertrag geregelt werden?

Recht

19.06.2020

Ein neues Urteil gibt Verlobten und Ehegatten die Möglichkeit, sich für den Scheidungsfall vorsorglich abzusichern und gewisse Scheidungsfolgen bereits vor der Trennung zu regeln.

Die Scheidungskonvention

Scheidungswillige Ehegatten haben die Möglichkeit, die Nebenfolgen ihrer Scheidung (wozu u.a. die Höhe der nachehelichen Unterhaltsbeiträge gehört) im Rahmen einer Scheidungskonvention zu regeln. Eine solche Vereinbarung ist das Resultat von aussergerichtlichen Gesprächen, von gerichtlichen Vergleichsverhandlungen oder eines Mediationsverfahrens. Das Gericht genehmigt die Scheidungskonvention, wenn es sich davon überzeugt hat, dass die Ehegatten diese aus freiem Willen und nach reiflicher Überlegung geschlossen haben und sie klar, vollständig und nicht offensichtlich unangemessen ist. Mit der Genehmigung durch das Gericht wird die Scheidungskonvention rechtsgültig.

Die «Scheidungskonvention auf Vorrat»

In der Praxis stellt sich immer wieder die Frage, ob die Ehegatten die Folgen einer allfälligen Scheidung und insbesondere die nachehelichen Unterhaltsbeiträge bereits im Voraus, d.h. ausserhalb eines Scheidungsverfahrens und trotz fehlender Scheidungsabsicht, gegebenenfalls bereits vor der Heirat, verbindlich regeln können. Bis anhin ist man gemeinhin davon ausgegangen, dass die Nebenfolgen einer Scheidung nicht im Voraus geregelt werden können.
Gemäss bisher herrschender Lehre trat die Bindungswirkung einer Scheidungskonvention erst dann ein, wenn sie im Rahmen der Anhörung vor Gericht von den Ehegatten nochmals bestätigt worden ist. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte sie von beiden Ehegatten widerrufen werden.

Neues Urteil

Im Urteil 5A_778/2018 vom 23. August 2019 hatte das Bundesgericht die Frage zu klären, ob sich bereits die Verlobten vor der Heirat – mithin ohne jegliche Scheidungsabsicht – hinsichtlich der nach einer allfälligen Scheidung zu bezahlenden Unterhaltsbeiträge verbindlich einigen können.& Im erwähnten Fall hatten die Verlobten im Jahr 2008 einen Tag vor der Heirat einen Ehevertrag abgeschlossen. Die Parteien hatten in diesem Ehevertrag vereinbart, dass der Ehemann der Ehefrau im Scheidungsfall ab Rechtskraft des Scheidungsurteils einen nachehelichen Unterhalt in der Höhe von CHF 20‘000 pro Monat bezahlen muss. Die Ehe blieb kinderlos. Im Jahr 2015 reichte der Ehemann die Scheidungsklage ein.

Das Bundesgericht bejahte letztlich die grundsätzliche Bindungswirkung einer antizipierten Vereinbarung über den nachehelichen Unterhalt. Es wies darauf hin, dass die Ehegatten frei sind, Rechtsgeschäfte abzuschliessen. Das Gesetz enthalte keine spezielle Regel, die es einem Ehegatten verbieten würde, sich vor oder nach dem Eingehen der Ehe vertraglich zu verpflichten, dem anderen im Scheidungsfall einen bestimmten Beitrag an dessen Unterhalt zu leisten. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass eine solche Vertragsabrede die Vertragsparteien – unter Vorbehalt der späteren Genehmigung durch das Scheidungsgericht – binde. Da die allgemeinen Regeln des Vertragsrechts gelten, müsse eine solche «Scheidungsvereinbarung auf Vorrat» keinen bestimmten Mindestinhalt und keine besondere Form aufweisen. Sie kann folglich auch mündlich abgeschlossen werden oder Teil eines öffentlich beurkundeten Ehevertrages sein.

Das Scheidungsgericht wird die «Scheidungskonvention auf Vorrat» gemäss der neuen Rechtsprechung genehmigen, wenn es sich vom freien Willen der Parteien überzeugt hat und die Konvention klar, vollständig und nicht offensichtlich unangemessen ist. Bei dieser inhaltlichen Kontrolle hat das Gericht nicht auf den Zeitpunkt abzustellen, in welchem die Parteien die Vereinbarung geschlossen haben; vielmehr ist der Zeitpunkt des Scheidungsverfahrens, nämlich der richterlichen Genehmigung, massgebend. Das Gericht hat folglich auch allfällige Veränderungen der Verhältnisse zu berücksichtigen, die seit dem Abschluss der Scheidungsvereinbarung eingetreten sind.

Fazit

Das neue Urteil gibt Verlobten und Ehegatten die Möglichkeit, sich für den Scheidungsfall vorsorglich abzusichern und gewisse Scheidungsfolgen bereits vor der Trennung zu regeln. Da rund 40 % der Ehen geschieden werden, kann es durchaus sinnvoll sein, sich im Voraus einvernehmlich über diese Scheidungsfolgen abzusprechen und eine faire Lösung zu vereinbaren.

Konkret bestehen folgende Möglichkeiten, den Scheidungsfall im Voraus zu regeln:

  • Nachehelicher Unterhalt: Gemäss dem neuen Urteil können die Ehegatten über den nachehelichen Unterhalt schon vor der Heirat und auch während der Ehe eine formlose Vereinbarung treffen. Diese darf nicht offensichtlich unangemessen sein und steht unter dem Vorbehalt der richterlichen Genehmigung.
  • Güterrecht: Die Ehegatten können gewisse güterrechtliche Fragen vor der Heirat und während der Ehe mit einem öffentlich beurkundeten Ehevertrag auch für den Scheidungsfall klären.
  • Vorsorgeausgleich: Mit Blick auf die 2. Säule hat das Gericht den Sachverhalt von Amtes wegen zu prüfen und über die Teilung der Vorsorgeguthaben zu entscheiden. Das Gesetz erlaubt es den Ehegatten, auf den Vorsorgeausgleich – wohl auch im Voraus – zu verzichten, sofern eine angemessene Alters- und Invalidenvorsorge anderweitig gewährleistet bleibt.
  • Kinderbelange: Eine bindende Regelung von Kinderbelangen (inkl. Unterhalt, elterliche Sorge, persönlicher Verkehr) ist im Voraus wohl nach wie vor ausgeschlossen.

Die neue Rechtsprechung begründet ein interessantes Planungsinstrument. Aufgrund der hohen Scheidungsquote empfiehlt es sich, die individuellen Möglichkeiten mit einem Rechtsanwalt oder Notar zu besprechen. Wir stehen für ein solches Gespräch gerne zur Verfügung.


Marcel Kobel, Rechtsanwalt und Mediator SAV
marcel.kobel@graffenried-recht.ch