Mehr Spielraum bei der Abzugsfähigkeit von Liegenschaftskosten
15.06.2023
Paradigmenwechsel bei der steuerlichen Beurteilung von umfassenden Liegenschaftssanierungen mit dem neuen Urteil des Bundesgerichts über die Aufhebung der Praxis des «Wirtschaftlichen Neubaus».
Liegenschaftskosten können sich steuerlich auf zwei Arten auswirken: Entweder können die Kosten im Rahmen der periodischen Veranlagung der Einkommenssteuer als Abzug geltend gemacht werden, oder sie qualifizieren als Anlagekosten bei der Besteuerung des Grundstückgewinns, wenn die Liegenschaft dereinst veräussert wird. Bei einem Sanierungsprojekt erfolgt oft eine Aufteilung der Gesamtkosten teilweise in die eine und teilweise in die andere Kategorie.
Umfassende Sanierungen einer Liegenschaft standen in der Vergangenheit jedoch regelmässig unter einem schwierigen Stern, weil gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts und den damit verbundenen Praxen der Steuerverwaltungen die Kosten je nach Konstellation vollumfänglich als Anlagekosten eingestuft wurden. Dadurch konnten die Kosten bei der Veranlagung der Einkommenssteuer nicht in Abzug gebracht werden.
Bis ins Jahr 2010 wurde, gestützt auf langjährige bundesgerichtliche Rechtsprechung, die sogenannte Dumont-Praxis angewendet: Aufwendungen, die in den ersten fünf Jahren seit Erwerb einer im Unterhalt vernachlässigten Liegenschaft getätigt wurden, waren demnach bei der Einkommenssteuer nicht abzugsfähig. Die Dumont-Praxis wurde erst durch eine per 1. Januar 2010 in Kraft getretene Gesetzesänderung aufgehoben.
Bereits unter der Herrschaft der Dumont-Praxis und über die Gesetzesänderung im Jahr 2010 hinaus wurde in gewissen Kantonen die Praxis zum «Wirtschaftlichen Neubau» angewendet: Demnach wurden Liegenschaftskosten nicht zum Abzug zugelassen, wenn die Arbeiten den normalen Unterhalt überschritten und einen eigentlichen Um- oder Ausbau zum Gegenstand hatten. Unter einen «Wirtschaftlichen Neubau» fiel beispielsweise die Aushöhlung der Baute oder von Gebäudeteilen mit anschliessender Neugestaltung der Innenraumeinteilung.
Das Bundesgericht hat die Praxis zum «Wirtschaftlichen Neubau» in seinem brandneuen Urteil – abweichend von seiner früheren Rechtsprechung – aufgehoben (vgl. Urteil 9C_677/2021 vom 23. Februar 2023).
Was gilt nun?
Da es sich um eine höchstrichterlich entschiedene Praxisänderung handelt, ist diese ab sofort auf alle noch nicht definitiv veranlagten Fälle anzuwenden.
Für alle Arbeiten an einer neu erworbenen Liegenschaft ist individuell aufgrund ihres objektiv-technischen Charakters abzuklären, ob sie dazu dienen, einen früheren Zustand der Liegenschaft wiederherzustellen, mithin also werterhaltend wirken und damit bei der Einkommenssteuer in Abzug gebracht werden können. Wenn dieser Nachweis nicht erbracht werden kann, ist zulasten der steuerpflichtigen Person davon auszugehen, dass die Kosten nicht der Instandstellung dienen und folglich nicht abgezogen werden können.
Die Liegenschaftskosten lassen sich somit in drei Kategorien einteilen:
1) Werterhaltende Unterhaltskosten
Die werterhaltenden Liegenschaftskosten, die den früheren Zustand der Liegenschaft wiederherstellen, können im Rahmen der Veranlagung der Einkommenssteuer als Abzug geltend gemacht werden.
2) Wertvermehrende Anlagekosten
Wertvermehrende Anlagekosten, die aufgrund einer funktionalen Betrachtungsweise dazu führen, dass das Grundstück eine qualitative Verbesserung und damit eine Wertsteigerung erfährt, können im Rahmen der Veranlagung des Grundstückgewinns geltend gemacht werden, wenn das Grundstück verkauft wurde.
3) Ausnahmsweise abzugsfähige Kosten
Neben der Abgrenzung zwischen werterhaltenden und wertvermehrenden Kosten sehen die Steuergesetze eine Reihe von Ausnahmen vor, die diese Grenze verwischen und aus anderen – meist politisch motivierten – Gründen zu einer Abzugsfähigkeit bei der Einkommenssteuer führen:
- Investitionen, die dem Energiesparen und dem Umweltschutz dienen:
Diese Kosten werden den abzugsfähigen Unterhaltskosten gleichgestellt, unabhängig davon, ob sie zu einer Wertsteigerung der Liegenschaft führen oder lediglich den früheren Zustand wiederherstellen.
- Kosten denkmalpflegerischer Arbeiten:
Kosten von denkmalpflegerischen Arbeiten, die die steuerpflichtige Person aufgrund gesetzlicher Vorschriften im Einvernehmen mit den Behörden oder auf deren Anordnung hin vorgenommen hat, können steuerlich geltend gemacht werden, soweit diese selbst getragen wurden.
- Rückbaukosten im Hinblick auf einen Ersatzneubau:
Seit dem 1. Januar 2020 werden Rückbaukosten im Hinblick auf einen Ersatzneubau den abzugsfähigen Unterhaltskosten gleichgestellt.
Wenn Sie Liegenschaftskosten bei der Einkommenssteuer geltend machen wollen, müssen Sie also den Nachweis erbringen, dass diese entweder werterhaltenden Charakter haben oder unter eine der aufgeführten Ausnahmen subsumiert werden können. Wenn dieser Nachweis nicht erbracht werden kann, wird aufgrund der Beweislastverteilung im Steuerrecht zu Ihren Ungunsten davon ausgegangen, dass es sich um nicht abzugsfähige Kosten handelt.
Fazit
Der Entscheid des Bundesgerichts, die Praxis zum «Wirtschaftlichen Neubau» aufzuheben, ist zu begrüssen. Sie führte in der Vergangenheit zu nicht sachgerechten Ergebnissen, wenn die gesamten Kosten einer umfassenden Liegenschaftssanierung in pauschaler Weise als nicht abzugsfähige Anlagekosten qualifiziert wurden. Das macht die steuerliche Beurteilung indessen nicht einfacher, weil die ausgeführten Arbeiten im Detail auf ihren objektiven-technischen Charakter zu untersuchen und steuerlich zu qualifizieren sind.
Planen Sie eine umfassende Liegenschaftssanierung oder haben Sie bereits eine solche ausgeführt? Wir begleiten Sie gerne bei der steuerlichen Planung und Abwicklung.
Lukas Stotzer
lukas.stotzer@graffenried-treuhand.ch