Zum Glück sind wir verschieden
17.06.2022
Ein vielfältig zusammengesetzter Stiftungsrat ist eine gute Voraussetzung, um die aktuellen sowie die zukünftigen Herausforderungen zu meistern.
Diversität – ein Modetrend, und doch geht die Bedeutung weit darüber hinaus. Diversität bedeutet Vielfalt und löst positive Assoziationen aus. Jedem von uns ist es wichtig, in seiner Individualität und mit all seinen persönlichen Eigenschaften wertgeschätzt zu werden. Auf Unternehmensebene, so haben Studien gezeigt, steigern vielfältig zusammengesetzte Geschäftsleitungen und Verwaltungsräte den Unternehmenserfolg nachweislich. In der schweizerischen Stiftungslandschaft wird das Thema Diversität ebenfalls diskutiert.
In vielen Gremien besteht heute nach wie vor Potenzial bezüglich Diversität, und das nicht nur auf die Geschlechterfrage bezogen. So liegt laut dem Schweizer Stiftungsreport 2021 der Anteil der Frauen in Stiftungsräten in der Schweiz bei rund 31 %, derjenige ausländischer Stiftungsräte im Schweizer Durchschnitt bei gut 12 %.
Diversität geht über die Anknüpfung an klassische Diskriminierungsmerkmale hinaus: Sie umfasst verschiedene Fähigkeiten, persönliche Merkmale, berufliche Erfahrungen, Wertvorstellungen und viele weitere Attribute.
Diversität als Erfolgsfaktor für Stiftungen
In einem vielfältig zusammengesetzten Stiftungsrat treffen automatisch unterschiedliche Perspektiven und Überzeugungen aufeinander. Dies kann zwar zu kontroversen Diskussionen und damit längeren Entscheidungsprozessen führen. Gleichzeitig begünstigt die vielseitige Zusammensetzung eines Stiftungsrates aber Innovation und Kreativität. So können im Rahmen des Stiftungszweckes neue Ideen wie z. B. Kooperationen erwogen werden, was auch in Bezug auf die Stiftungstätigkeit zu mehr Wirkung führt.
Errichtung einer Stiftung
Die Stifter bestimmen bei der Stiftungserrichtung den ersten Stiftungsrat. Regelmässig nehmen die Stifter selbst sowie ihnen nahestehende Personen Einsitz im obersten Organ. Dies ist verständlich, wollen doch die Stifter die Stiftungstätigkeit im Rahmen des statuierten Zwecks selbst prägen. Zudem ist eine Wertekongruenz im Stiftungsrat förderlich für die Stiftungstätigkeit, sie stärkt das Gremium. Trotzdem ist es empfehlenswert, dass sich Stifter im Vorfeld der Errichtung als Bestandteil des Konzepts gezielt überlegen, wie sich der erste Stiftungsrat – ausgehend vom Stiftungszweck und der geplanten Ausrichtung – zusammensetzen soll. Dabei ist die Diversität ein wichtiger Aspekt: Welche Erfahrungen und Kenntnisse sind für das Amt als Stiftungsratsmitglied zentral (Kompetenzprofil)? Wer bringt welche Fähigkeiten mit? Wird spezifisches Fachwissen benötigt? Ist ein generationenübergreifender Stiftungsrat anzustreben?
Im Rahmen der Stiftungserrichtung wird auch die Organisation des Stiftungsrates geregelt, etwa wird die Anzahl der Stiftungsräte statuiert. Diese Zahl sollte der Grösse sowie der Komplexität der Tätigkeit angemessen sein. Bereits die Anzahl an Stiftungsräten hat indirekt einen Einfluss auf die Diversität. Zudem ist es empfehlenswert, in den Statuten oder im Reglement eine Amtszeit vorzusehen. Weiter besteht die Möglichkeit, eine Altersbeschränkung oder eine Amtszeitbeschränkung zu statuieren. Solche Bestimmungen bewirken bereits automatisch eine gewisse Erneuerung des Stiftungsrates. Es sind Regelungsmöglichkeiten, sie sollen aber nicht dahingehend missverstanden werden, als mit der Statuierung entsprechender Bestimmungen dem Gedanken der Diversität bereits Genüge getan ist.
Erneuerung des Stiftungsrates
Kooptation bedeutet, dass der Gesamtstiftungsrat mit Ablauf der Amtsdauer oder beim Ausscheiden einzelner Mitglieder die Nachfolger selbst wählt. Diese Aufgabe geht mit der Verantwortung einher, sich rechtzeitig vor einer Erneuerungs- bzw. Neuwahl auf strategischer Ebene mit der künftigen Zusammensetzung des Stiftungsrates als Gremium sowie dem Anforderungsprofil künftiger Stiftungsräte zu befassen: Gibt es Kompetenzen, die im Stiftungsrat fehlen? Soll gezielt ein jüngeres Stiftungsratsmitglied, etwa mit ausgeprägten digitalen Fähigkeiten, rekrutiert werden? Gerade bei der Kooptation, bei der sich der Stiftungsrat selbst erneuert, ist es von besonderer Wichtigkeit, sich aktiv mit der Diversitätsthematik zu befassen und neue Stiftungsräte ins Boot zu holen. Dies im Bewusstsein, dass es nicht immer leicht ist, kompetente und engagierte Stiftungsratsmitglieder zu finden, die auch über ein entsprechendes Zeitbudget verfügen.
Wenig förderlich für die Rekrutierung neuer Stiftungsräte, auch im Hinblick auf den Generationenwechsel in vielen Stiftungsräten und die angestrebte Professionalisierung, ist der Umstand, dass die Revision des Stiftungsrechts ohne Regelung der Stiftungsratshonorierung geendet hat. Somit fehlt weiterhin eine gesetzlich verankerte und schweizweit einheitliche Praxis zur Entschädigung von Stiftungsräten.
Ein vielfältig zusammengesetzter Stiftungsrat hat beste Voraussetzungen, für die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen verschiedenster Natur gewappnet zu sein. Unsere Ausführungen zur Diversität sind nicht als Aufforderung zu einer Gesamterneuerung des Stiftungsrates oder zur Einführung bestimmter Quoten zu verstehen. Vielmehr möchten wir für die Thematik sensibilisieren und Stifterinnen sowie Stiftungsräte ermutigen, sich auf strategischer Ebene mit der Zusammensetzung des Stiftungsrats und damit der Thematik der Diversität im Stiftungsrat zu befassen.
Neuerungen bei der Eidg. Stiftungsaufsicht – «eESA»
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Silvia Schönfelder
silvia.schoenfelder@graffenried-recht.ch